Enricos Reisenotizen
Wer hat's gekriegt? Das Europäischen Kulturerbe Siegel?
Fast 20 Jahre habe ich in Hietzing gearbeitet und bin fast täglich durch die Veitingergasse gefahren (allerdings im unteren Bereich) und dann hat es einer tschechischen Pressemeldung bedurft, um aufmerksam auf etwas ganz Besonderes zu werden…
Gemeinsam mit vier weiteren Siedlungen in Deutschland, Polen und Tschechien wurde die Werkbundsiedlung in Wien eine länderübergreifende Kulturerbe-Stätte. Und dies anscheinend völlig ohne unser Zutun, denn wie man hört, erfolgte die Einreichung bei der EU unter der Leitung von Stuttgart und in Kooperation mit Brünn, Prag (ebenfalls mit dabei), Breslau und Zürich.
Wir hatten also Glück. Vielleicht wurde deshalb nur ganz verschämt gefeiert? Zu mindestens in der Stadt Wien Postille wurde es klein erwähnt. Und ja, es wurde gerade renoviert und bei meinem Besuch war man noch mit der Fahrbahnsanierung beschäftigt. Daher: vielleicht kommt die große Feier ja noch…
Doch was ist diese Werkbundsiedlung nun eigentlich?
In der Zeit des Roten Wien fand 1930-1932 unterhalb des Roten Berges in Hietzing eine internationale Bau- und Wohnausstellung unter der Leitung des Architekten Josef Frank statt. 32 namhafte Architektenteams der Moderne wirkten bei der Planung mit und sollten zeigen, wie die moderne Architektur das Wohnen der Zukunft sieht.
1930 wurde mit dem Bau von 70 Musterhäusern begonnen, die die Gestaltung eines modernen Kleinwohnhauses in Verbindung mit der Natur zeigen sollte. Jedes Haus sollte zusätzlich mit 200m2 Gartenfläche ausgestattet werden. Als Vorbild galt die Stuttgarter Werkbundsiedlung des Jahres 1927. Die Häuser sollten Muster für den Bau großer Siedlungen am Stadtrand werden.
Innerhalb weniger Wochen besuchten im Sommer 1932 100.000 Besucher die Musterhäuser, deren Inneneinrichtung ebenfalls von namhaften Architekten und Innenraumgestaltern ausgeführt wurde. Nach der Ausstellung wurden allerdings die Häuser wieder ausgeräumt und nur 14 fanden im Anschluss einen Käufer, der Rest wurde vermietet und ging 1938 in den Besitz der Gemeinde Wien über.
2011 wurde mit der Renovierung begonnen und heute erstrahlt die Siedlung wieder – so schien es mir – zumindest schon teilweise im alten Glanz. Die Häuser sind auch heute noch bewohnt, daher ist es nicht möglich, das Innere zu besichtigen und es wird auch bei der Besichtigung um Rücksichtnahme gebeten.
Dennoch: All jenen, die sich nur ein bisschen für Architektur interessieren oder die sich mit dem Gedanken des Hausbaus beschäftigen und außergewöhnliche Ideen lieben, sei ein Besuch und ein Spaziergang durch die Siedlung ans Herz gelegt.
Hier werkten unter anderem Josef Hoffmann, Begründer der Wiener Werkstätten und – so glaube ich, nicht notwendig weiter vorzustellen. André Lurçat aus Paris, einer der bekanntesten Vertreter des Funktionalismus in Frankreich, Marcel Roux, Hermann John Hagemann, Oscar Wlach, Oswald Haerdtl, ein Schüler von Oskar Strnad und Josef Frank, Margarete Schütte-Lihotzky, die erste Frau, die in Österreich zum Architekturstudium zugelassen wurde und die die „Frankfurter Küche" erfand und in der Werkbundsiedlung die kleinsten Häuser (35 und 36m²) gestaltete. Adolf Loos war ebenso mit dabei wie sein engster Mitarbeiter und Biograph Heinrich Kulka. Clemens Holzmeister, Gerrit Thomas Rietveld aus Utrecht, Josef Frank und viele andere.
Einiges erscheint schon beim vorbei Flanieren modern – auch jetzt noch. Viele Häuser haben große Fenster, die einladend wirken und ich wäre wirklich sehr gespannt bezüglich der Einrichtung gewesen. Auch die Gestaltung der Häuserfronten, so unterschiedlich sie auch sein mögen wirken erstaunlich modern und die Reihenhäuser von André Lurçat scheinen mir fast ein Vorbild (zumindest von außen) der neuen Häuser an der Brünner Straße in Floridsdorf zu sein. Auch sie zeichnen diese rund geformten Stiegenaufgänge (?) aus.
Wer genaueres über die Siedlung und die Architekten wissen will, dem sei die Website https://www.werkbundsiedlung-wien.at/ empfohlen, die in keiner Weise das neue Kulturerbe Siegel erwähnt, aber immerhin schon die neue Stadträtin für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung upgedated hat. In der hervorragenden App, die man sich kosten los hier https://www.werkbundsiedlung-wien.at/ runterladen kann, sieht man noch unseren Bürgermeister (damals Wohnbaustadtrat) mit Bart in jungen Jahren.
Die App kann ich allerdings wirklich empfehlen. Sie enthält nicht nur einen Plan, eine Highlighttour und Fotos zu den verschiedenen Häusern (auch zur ehemaligen Inneneinrichtung), sondern hilft auch bei der Orientierung, vor welchem Haus man sich gerade befindet. Außerdem führt eine Highlight-Tour durch die Siedlung und wem lesen zu mühselig ist, kann den Audio Guide zuhören. Außerdem enthält sie die Beschreibung aller Häuser und auch Kurzbiografien der Architekten.
Wenn ich noch bedenke, dass ein Haus von Josef Hoffmann um 45.000 Schilling nach der Ausstellung verkauft wurde, was damals natürlich auch viel Geld darstellte, aber wenn man den Betrag heute hört ….
Info über die Sanierung eines Loos-Hauses findet ihr hier: https://www.architektur-aktuell.at/news/wohnen-a-lavantgarde-in-der-wiener-werkbundsiedlung
Einblick in die Sanierung der Häuser findet ihr hier: https://www.wiseg.at/Referenzen/Werkbundsiedlung
Kurz berichtete auch der ORF Wien über das Kulturerbe-Siegel: https://wien.orf.at/stories/3042571/
Einen Lageplan der Häuser inklusive alter und derzeitiger Nummerierung findet ihr hier: https://www.werkbundsiedlung-wien.at/haeuser
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