Sowohl das neu renovierte Gebäude wie auch die Wiener pathologisch-anatomische Sammlung zur Dokumentation und Erforschung von Krankheiten im Wiener Narrenturm sind einzigartig. Nach der Generalsanierung zeigt sich der Turm in neuem Glanz und die Ausstellung gibt in 19 modern gestalteten Räumen Einblick über Krankheitslehre und die Geschichte der Pathologie.
Die k.k. Irrenanstalt zu Wien wurde am 19. April 1784 eröffnet und war damals einzigartig. Auch dass psychisch Kranke behandelt und nicht einfach weggesperrt werden sollten, war ein neuer Ansatz, den Kaiser Joseph II. mit dem Bau des Narrenturms ermöglichte. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass der Kaiser den Bau aus seiner Privatschatulle finanzierte.
In jedem der fünf Stockwerke des Turms befanden sich 28 Zellen. Jeder Stock hatte eine Verbindung der beiden Turmhälften. Ein hölzernes Oktogon stand am Dach, das vom Kaiser auch regelmäßig besucht wurde.
Anfänglich galten sowohl der Bau als auch die Einrichtung modern und innovativ, aber die Medizin entwickelte sich schnell weiter. Bereits in den 1820ern begann man daher bereits eine Schließung in Erwägung zu ziehen, da sich der Turm für einen Spitalsbetrieb mehr und mehr als ungeeignet herausstellte.
1857 wurde das Gebäude umgebaut und bis 1866 waren noch psychisch Kranke hier untergebracht, dann wurde der Narrenturm geschlossen. Nach 1870 diente er als Wirtschaftsraum für das Allgemeine Krankenhaus, ab 1900 richtete man hier Dienstwohnungen für das medizinische und Pflegepersonal, wie auch für Studierende und Bedienstete des AKH ein.
Seit 1971 ist er Heimat des Pathologisch-Anatomischen Bundesmuseums, das 2012 als pathologisch-anatomische Sammlung im Narrenturm ins Naturhistorische Museum Wien eingegliedert wurde.
Die pathologisch-anatomische Schausammlung
Die Wiener Sammlung ist weltweit einzigartig und dient seit über 200 Jahren der Dokumentation und Erforschung von Krankheiten. Die Idee zu einer solchen Sammlung hatte bereits der Sanitätsreferent und erster Stadtphysikus Josef Pasqual Ferro. 1796 war es dann zu weit: Der Arzt Johann Peter Frank, Direktor des Allgemeinen Krankenhauses, gründete das Pathologisch-anatomische Museum im – ebenfalls neuen – Pathologischen Institut und bestellte den Arzt Aloys Rudolph Vetter zum unbesoldeten Prosektor und Konservator der Pathologischen Sammlung.
1812 trat eine umfassende Reglementierung des Gesundheitswesens in Kraft, bei der auch der Umgang mit Leichen im Wiener Allgemeinen Krankenhaus genau festgelegt wurde, ebenso wie die Akquisition der Präparate, wo bestimmt wurde, dass „… im Krankenhaus, inclusive Gebär- und Irrenanstalt Verstorbene mit einer merkwürdigen Erkrankung vom pathologischen Prosektor im Beisein der Ärzte geöffnet werden müssen. Der Befund wird protokolliert, die Präparate werden für das pathologische Museum gesammelt und mit der Geschichte der Krankheit belegt."
Die Wiener und die „Narren"
Menschen mit psychischen Erkrankungen waren in früheren Zeiten ebenso wie jene mit bestimmten körperlichen Besonderheiten der Sensationslust ihrer Mitmenschen ausgesetzt. Dies hatte zur Folge, dass nicht nur bei Jahrmärkten Menschen als „Ausstellungsstücke" vorgeführt wurden, sondern dass die Wiener nach der Errichtung des Narrenturms auch „Narren schauen" und „Narren ärgern" als Freizeitvergnügen entdeckten. Verbote schienen nicht allzu viel gefruchtet zu haben und so versuchte man, jede Ritze und jede Öffnung, die einen Blick ins Innere freigab, so gut wie möglich abzudichten.
Die Neuaufstellung der Sammlung
Auch in der Gegenwart überlegte man lange, wie die Ausstellung gestaltet werden sollte, um nicht nur ÄrztInnen, MedizinstudentInnen oder KrankenpflegerInnen einen Einblick in die Krankheitslehre zu geben, sondern sie für auch SchülerInnen und einem interessierten Laienpublikum zu öffnen, ohne jedoch darauf zu vergessen, dass hier menschliche Präparate ausgestellt sind, denen nach wie vor Respekt zu erweisen ist.
Die Neuaufstellung hat sich der einzigartigen Raumstruktur des Narrenturms mit seinen Zellen angepasst, bietet aktuelle Themen und historische Aspekte und die Möglichkeit mehr über Krankheitsbilder und die dazu gehörenden Informationen wie Ursache, Ausprägungen und Behandlungsmethoden zu erfahren.
Wer gruselige Ausstellungsobjekte erwartet und wen die Sensationslust in den Narrenturm treibt, der wird enttäuscht werden und sollte besser zu Hause bleiben. All jene aber, die sich für die Geschichte der Pathologie interessieren, die wissen wollen, wie man früher unterrichtet hat, aber auch wie sich die Wissenschaft um die Krankheitslehre weiter entwickelt hat, denen kann ich einen Besuch im Narrenturm nur empfehlen.
Euch erwartet in den ersten fünf Räumen die Geschichte der Sammlung und der Pathologie bis zur modernen Molekularpathologie im 21. Jahrhundert. Eine alte Reiseapotheke aus dem 16. Jahrhundert, Objekte und Originallehrbücher aus dem 18.Jahrhundert, aber auch eine interaktive Station mit Vertiefung in die pathologische Histologie zeigen die Entwicklung deutlich auf.
Die nächsten sechs Räume widmen sich der allgemeinen Pathologie und zeigen Krankheitsphänomene wie Entzündungen, Infektionen und Tumore, die durch Präparate der Sammlung veranschaulicht werden.
In den sieben anschließenden Räumen werden die Themen der speziellen, bzw. der Organpathologie präsentiert, wobei auch lebensgroße Wandgrafiken die anatomischen Grundlagen und Zusammenhänge erklären. Eine moderne AugmentedReality-Station sorgt hier dafür, dass man als Besucher einen Blick in den eigenen Körper werfen kann. Schon faszinierend, ehrlich gesagt.
Weiters geht die Ausstellung auf die Geschichte des Narrenturms ein und zwei weitere interaktive Stationen bieten Einblicke in das Areal vor dem Bau des Narrenturms und auch in seine Nutzungsgeschichte.
Zum Abschluss finden sich noch eine Kunstinstallation aus den 1990er Jahren, die erhaltene historische Schmiede und drei Räume, die für wechselnde Sonderausstellungen genutzt werden.
Für mich war es ein gelungener und interessanter Besuch. Eine wirklich gute Mischung zwischen Alt und Neu, zwischen Geschichte und neuerer Forschung. Eine interessante Vermittlung, die mehr über verschiedene Krankheitsbilder, deren Ursachen, Ausprägungen und Behandlungsmethoden den Besuchern nahe bringt. Ohne Sensationsgeilheit und Gruseln. In einem einzigartigen Bauwerk.
Die Pathologisch-anatomische Sammlung im Narrenturm ist Mittwoch von 10:00 bis 18:00 Uhr, Donnerstag und Freitag von 10:00 bis 15:00 Uhr und am Samstag von 12:00 bis 18:00 Uhr geöffnet.
Es werden auch die verschiedenen Führungen zu unterschiedlichen Themen angeboten. Die Führung durch die Studiensammlung zeigt ausgewählte Präparate zu verschiedenen Erkrankungen wie Tuberkulose, Syphilis oder Ichthyose. Manche heute noch präsente Krankheiten wie Brustkrebs und Pilzerkrankungen wirken durch die historischen Moulagen lebensecht. Bei den Führungen wird auch auf die Entwicklung der Behandlungsmethoden eingegangen und gerne auch auf das spezielle Interesse der TeilnehmerInnen. Mehr über die Führungen, die Termine und die Preise findet ihr hier: https://www.nhm-wien.ac.at/narrenturm/fuehrungen
1090 Wien, Spitalgasse 2
Tel: +43 1 521 77 606
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